Momentan häufen sich die Meldungen zu gestiegenen Fallzahlen und Ausgaben in den Hilfen zur Erziehung und im Kinderschutz. Abgesehen davon, dass die Zahlen nun zur Verfügung stehen – welchen inhaltlichen Hintergrund hat das?

Das verrät uns ein Blick auf die Analyse der Zahlen in KomDat-Jugendhilfe, Heft 3/2011. Mehrere Studien zeigen, dass ein direkter Zusammenhang zwischen den sozioökonomischen Lebenslagen für Familien, den brüchigen Familienkonstellationen und der Inanspruchnahme von Hilfen zur Erziehung (HzE) besteht. Besonders Alleinerziehende sind gefährdet, jede zweite gewährte Hilfe wird von ihnen in Anspruch genommen. Rund 61 % der Familien mit gewährten HzE müssen sich teilweise oder vollständig über Transferleistungen finanzieren. Steigende Fallzahlen sind aber auch auf eine Kultur der Wachsamkeit zurückzuführen. Sie ist ein Ergebnis der seit mehr als 10 Jahren geführten Kinderschutzdebatte und Regelungen, die 2005 im Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz (besser zu merken als KICK) verankert wurde. Sowohl bei Bürgerinnen und Bürgern als auch bei den mit Kindern, Jugendlichen und Familien arbeitenden Fachkräften, ist von einer höheren Sensibilität beim Thema Kinderschutz auszugehen. Eine Entwicklung, die ja auch gewollt ist.

Zu den konkreten Fallzahlen: Seit 1995 bis 2010 gibt es einen stetigen Zuwachs der Fallzahlen, der allerdings nicht linear verläuft. Besonders starke Zuwächse gab es zwischen 2005 und 2010 und dort insbesondere zwischen 2007 und 2009. Familienunterstützende Maßnahmen wie z.B. die SPFH sind sehr stark gestiegen, familienersetzende Maßnahmen sind seit 2005 leicht angestiegen. Die Fallzahlen sind besonders in Ländern gestiegen, die zuvor mit Kindesvernachlässigung und -misshandlung mit Todesfolge erschüttert wurden (Bremen und Hamburg, mittelbar Saarland und Mecklenburg-Vorpommern). Einen abschließender Punkt, der für den Anstieg verantwortlich ist, kann in den vermehrten neu gewährten Hilfen für Kinder unter 6 Jahren, die in dieser Qualität völlig neu in der Statistik auftauchen, gesehen werden.

Die daraus resultierende Kosten sehen so, dass die Ausgaben in den HzE zwischen 2005 und 2009 auf insgesamt 6,6 Mrd. EUR gestiegen (plus 22% in diesem Zeitraum) sind. Zunahmen gibt es in allen Bundesländern, die stärksten wiederum in den Ländern mit den meisten Kinderschutzfällen.

Fallzahlen und Kosten haben also gleichzeitig zugenommen, was darauf hindeutet, dass die durchschnittlichen Kosten pro Fall im Bundesdurchschnitt ungefähr stabil geblieben sind.

Wie reagieren die Kommunen als Kostenträger? Den erhöhten Fallzahlen steuern die Kommunen mit einer kürzeren Dauer der familienunterstützenden Hilfen und einer geringeren Intensität der Hilfen entgegen. Die Anzahl von Fachleistungsstunden pro Fall wurde reduziert. In der Heimerziehung hat sich zwischen 1995 und 2010 der Durchschnitt einer Fremdunterbringung um 10 Monate verringert. Eine besonders starke Reduzierung ist zwischen 2005 und 2010 aufgetreten, in der Zeit, in der die Fallzahlen besonders gestiegen sind.

Kinderschutz ja, aber Geld darf es nicht kosten?

Kurzum, längerfristige gesellschaftliche Veränderungen, rechtliche Rahmenbedingungen und die Kinderschutzdebatte seit Mitte der 2000er Jahre sind verantwortlich für den Anstieg der Hilfen zur Erziehung. Die Folge sind eine gestiegene gesellschaftliche und professionelle Wachsamkeit und die geänderte Wahrnehmung der Unterstützungsleistungen durch das Jugendamt. Sie sind gesellschaftlich gewollte Veränderungen, die sich u.a. auch in der Änderung des SGB VIII (§ 8a) niederschlugen oder in aktuellen Regelungen des Bundeskinderschutzgesetzes.

Literatur
Agathe Tabel/Sandra Fendrich/Jens Pothmann (2011): Warum steigen die Hilfen zur Erziehung? Ein Blick auf die Entwicklung der Inanspruchnahme. In: KomDat Jugendhilfe. Heft 3 / 2011, 14. Jahrgang, S. 3-6.

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